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FLOATING

Chiara Matschnig

"SCHWEBEN / FLOATING" © Matschnig Chiara, Installation, 2020
Schweben ist eine Rauminstallation zum Thema Dissoziation, insbesondere Depersonalisierung. Gemeint ist damit ein Phänomen aus der Psychologie, bei dem sich Menschen selbst nicht mehr als einheitliche Person wahrnehmen.
Kurz zusammengefasst, liegt dabei eine Spaltung von Bewusstsein, Gedanken und Emotionen vor. Die Person befindet sich in einem veränderten Bewusstseinszustand und nimmt sich selbst und/oder ihre Umwelt anders wahr als gewohnt. 1

Oft fällt der Begriff Dissoziation im Zusammenhang mit Traumata, in abgeschwächter Form kann es aber auch bei Belastungen, wie Stress oder Schlafdefizit dazu kommen. Die Ausprägungen können dabei verschieden stark sein, beginnend bei harmlosen Automatismen und Routinetätigkeiten bis hin zu pathologischen Störungen. 2

Eine besondere Rolle spielt für die Künstlerin aufgrund eigener Erfahrungen das Badezimmer: Ein meditativer Ort, an dem man so sehr mit sich selbst konfrontiert ist, wie sonst nie. Viele kennen vielleicht, dass man beim Nachdenken unter der Dusche schon mal die Zeit vergessen kann. Die extreme Nähe zu sich selbst, Körperempfindungen, die fast alle Sinne ansprechen, und die repetitive Geräuschkulisse können zu einem meditativen, fast tranceähnlichen Zustand führen. An der Grenze zur sinnlichen Überreizung, können so Gefühle der Entfremdung entstehen. Dies ist vergleichbar mit dem seltsamen Gefühl, wenn man ein Wort zu oft wiederholt und es den Sinn zu verlieren scheint, oder wenn man zu lange sein Spiegelbild anstarrt.

Wie konstituiert sich Identität, wenn unsere Wahrnehmung nicht "wahr" ist? Was bleibt an Sicherheit, wenn die gefühlte Realität nicht absolut ist? Schweben beschreibt die Gefühe und Assoziationen die mit dieser Verunsicherung einhergehen. Die Installation lässt spüren, wie fragil die An- und Abwesenheit von Bewusstsein ist. Ein Schweben zwischen Ordnung und Orientierungslosigkeit, Geborgenheit und Unbehagen, Fühlen und Taubheit.

In einem abgedunkelten Raum hängen semitransparente Stoffbahnen von der Decke und erinnern an eine Duschkabine. Von vier Seiten werden diese mit Videos projiziert: Nahaufnahmen eines Körpers beim Duschen. Aufler den Bewegungen der Wassertropfen und -strömen auf der nackten Haut sind die Videos fast statisch. Sphärische Audioebenen bewegen sich im Raum und wechseln ihre Stimmung durch verschiedene Geschwindigkeiten, Lautstärken und Post-Effekte. Sie überlagern sich, wandern durch den Raum, Kommen und Gehen. Gefühle der Geborgenheit werden durch experimentelle Soundrecordings weißen oder rosa Rauschens, Wassertropfen oder harmonisch klingender Chöre ausgedrückt. Desorientierung durch dissonante Klänge, geflüsterte Wörter, arrhythmische Klopfgeräusche, Surren oder Unterbrechungen durch unerwartete Stille.

„(. . .)  berührt doch die Depersonalisation grundlegende
Fragen des menschlichen Seins und Bewusstseins. Offenbar
sind wir keineswegs die einheitliche Person, als die wir uns
normalerweise wahrnehmen. Ein komplexes und sensibles
Zusammenspiel verschiedener Hirnfunktionen ist nötig,
damit wir uns selbst überhaupt in unserem eigenen Körper
empfinden und von der Welt um uns herum berührt werden." 3

1 Werlen, E.: Dissoziative Erlebnisse bei kreativen Menschen. Bürchen, 1996, S. 7
2 Werlen, E.: Dissoziative Erlebnisse bei kreativen Menschen. Bürchen, 1996,S. 5f
3 Elbers, M.: Depersonalisation: Gefangen in der Unwirklichkeit (2018, 24. Juli): www.spektrum.de/
news/depersonalisation-gefangen-in-der-unwirklichkeit/1578578
(Stand 12.01.2020)
Floating is a spatial installation on dissociation, in  particular, depersonalization. The latter meaning a psychological phenomenon, where one does not recognize themself as a coherent person anymore.
Briefly summarized, there is a division between the conscious, thoughts and emotions. The person finds themself in an altered state of mind and percieves themself and/or their environment differently than usual.1

Dissociation is often mentioned in the context of trauma, but it can also occur with stress or sleep deprivation. Levels may vary, starting from harmless automatism and routine tasks, culminating in pathological disorders.2

Due to the artist´s own experiences with depersonalization, the bathroom plays an important role: A meditative space, where one is faced with themself so intensely, as hardly anywhere else. Many may know the feeling of losing track of time in the shower. The extreme closeness to oneself, bodily sensations that address almost all senses, and the repetitive soundscape may lead to a meditative, almost trancelike state of mind. On the edge to sensory overload, feelings of alienation may arise. One could compare that to the strange feeling of repeating a word too many times and it seeming to lose its meaning, or looking at oneës reflection in the mirror for too long.

What is identity, when our perception is not truthful? What kind of security remains, when the reality felt is not absolute? Floating describes motions and associations accompanied by this uncertainty. The installation lets one experience the fragility of the presence and absence of the conscious. A floating state between order and loss of orientation, safety and unease, sensation and numbness.

In a darkened room, semitransparent panels of fabric are hanging from the ceiling and give the impression of a shower unit. From all four sides, they are projected with videos: Close-ups of a showering body. Apart from the movement of the water on the naked skin, the videos are almost static. Spheric sounds move through the space and change their moods through different speeds, volumes and post-effects. They overlap, wander about, come and go. Feelings of security are expressed by experimental sound recordings of white or pink noise, water drops, or harmonic choirs. Disorientation by dissonant sounds, whispers, arrhythmic banging noises, hums, or sudden disruptions by
unexpected silence.

(. . .) depersonalization touches on fundamental questions of
human being and consciousness. Apparently, we are by no means the uniform person we usually perceive ourselves to be. A complex and sensitive interaction of different brain functions is necessary, so that we can sense ourselves in our own bodies at all, and be touched by the world around us.3

1 Werlen, E.: Dissoziative Erlebnisse bei kreativen Menschen. Bürchen, 1996, S. 7
2 Werlen, E.: Dissoziative Erlebnisse bei kreativen Menschen. Bürchen, 1996,S. 5f
3 Elbers, M.: Depersonalisation: Gefangen in der Unwirklichkeit (2018, 24. Juli): www.spektrum.de/depersonalisation-gefangen-in-der-unwirklichkeit (Stand 12.01.2020) Translation by author.

"SCHWEBEN / FLOATING" © Matschnig Chiara, Installation, 2020
Soundinstallation, 2020
Zeitbasierte und Interaktive Medienkunst